Waldthemenpfad
Tafel 1 - Gaiberg und der Wald
Gaiberg liegt umgeben vom Wald am südöstlichen Hang des Königstuhls, des Hausberges von Heidelberg. Die Landschaft ist hügelig, ebene Flächen sind kaum zu finden. Wo der Boden an der Oberfläche aus Löss bestand, haben die früheren Bewohner Gaibergs den Wald gerodet, um eine bescheidenen Landwirtschaft zu betreiben. Zu einem großen Teil war der Wald die Lebensgrundlage und eine wichtige Einkunftsquelle. Waldarbeit war damals ein harter und mühsamer ‚Broterwerb’. Aber Holz allein macht nicht satt. Auf den gerodeten Flächen wurden Feldfrüchte angebaut und auch die Viehhaltung war in den Dorfgemeinschaften früherer Zeiten ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Wer mit offenen Augen durch Gaiberg und seine Umgebung streift, findet noch Hinweise auf die ehemaligen Wirtschaftsformen. Die Benennung von Gewannen weisen oftmals darauf hin, dass an diesen Stellen früher Wald stand, der dann aus unterschiedlichen Gründen gerodet wurde.
In den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts wurde die Idee eines Informationspfades entwickelt, der die Wald- und Holzwirtschaft früher und heute erklärt. Unter der Federführung von Dr. Martin Mühleisen haben die Mitglieder der Aktiven Gaiberger dieses Projekt konzipiert und schließlich realisiert. Auf insgesamt neun Info-Tafeln werden einzelne Aspekte der Waldwirtschaft näher erklärt. Der Themenpfad verläuft von der Bushaltestelle an der Panoramastraße zum Kraichgaublick, eine wundervollen Aussichtspunkt über den ganzen Kraichgau. Er liegt am Waldrand in Richtung Lingental. Der Themenpfad wurde im Juni 2011 eröffnet und eingeweiht. Die einzelnen Info-Tafel wurden in den Werkstätten des Naturparkzentrums in Eberbach hergestellt und von Gabriele Henn künstlerisch gestaltet.
Dr. Martin Mühleisen
Tafel 2 - Von Wellen und Prügeln
Das Holz des Gaiberger Waldes wurde nicht nur verkauft oder versteigert, sondern es war auch der Rohstoff, mit dem früher die Menschen Häuser bauten und Möbel oder viele alltägliche Gebrauchsgegenstände herstellten. Vielfach ist das heute noch so. Das Holz diente auch als Brennstoff; - Erdöl, Erdgas und Kohle stand hierfür noch nicht zur Verfügung. Holzkohle wurde aus großen Scheiten von Stammholz in Meilern produziert. Bezeichnungen wie der 'Kohlhof' oder 'Kohlplattenweg' erinnern noch daran.
Das Brennholz der ‚armen Leute’ war in der Regel dünnes Holz, also Äste und Zweige der gefällten Bäume. Damit wurde Feuer gemacht, gekocht und gebacken. In alten Dokumenten und Veröffentlichungen ist von Wellen und Prügeln zu lesen:
Im hiesigen Gemeindewald, District Aspenwaldschlag beim Lingenthalerhof, wird folgendes Gehölz versteigert: 282 ¼ Klftr. Buchen Scheit-, Klotz- und Prügelholz, worunter Hainbuchen-Klötz und Prügel und gemischtes Prügelholz, nebst 20,600 Stück meist buchenen Wellen.
Gaiberg, den 19. Februar 1853
Der Bürgermeister, Zimmermann
Wellen sind Bündel aus dünnem Holz. Dabei hatten die einzelnen Holzprügel eine Länge von ca. 1 Meter. Mit einem speziell geschmiedeten Wellenbeil wurden die Prügel entsprechend gekürzt. Anschließend wurden sie quer in ein Gestell, eine so genannte ‚Wellengeiß’, gelegt und mit einer Kette, die an einem langen Holzhebel befestigt war, zusammengezurrt. Dann werden die Holzprügel zu einem Bündel, der so genannten Welle, verschnürt. Eine Welle hatte einen Umfang von etwa einem Meter. Diese konnte dann auf dem Rücken nach Hause getragen werden. - In früheren Zeiten war der Waldboden deshalb weitgehend frei von dünnem Holz.
Der Spitzname der Gaiberger lautet: 'Wellebriggel', also Wellenprügel. Die Vermutung liegt nahe, dass mit solchen 'Wellenprügeln' in früheren Zeiten bei Diskussionen und Auseinandersetzungen auch schlagkräftige Argumente ausgetauscht wurden.
Tafel 3 - Große und Kleine Gabe
Ein erstaunliches Relikt des Standeswesens aus dem 18. und 19. Jahrhundert hat bis in unsere heutige Zeit überdauert: das Bürgerrecht der Holzgabe. Dieses Recht hatte nicht jeder, denn anders als heute verstand man unter ‚Bürger’ früher nicht alle Einwohner Gaibergs, sondern in der Regel die alteingesessenen Grundbesitzer. Zugezogene oder Angeheiratete besaßen dieses Recht nicht. Das Recht wurde vererbt oder es konnte auch ‚erworben’ werden. Wer also Gemeindebürger werden wollte, musste einerseits bestimmte Voraussetzungen mitbringen und sich das Recht auf den so genannten ‚Bürgernutzen’ erkaufen. Zum einen war bei der ‚Bürgerannahme’ ein 'Einkaufsgeld' in bar zu entrichten, zum anderen musste man beim Einrücken in den Bürgergenuss eine weitere Zahlung leisten.
Dieser Genuss bestand in der Hauptsache im Recht, eine so genannte Holzgabe zu beziehen. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts waren dies drei Klafter (1 Klafter = ca. 3,89 Raummeter oder Ster) Brennholz, später dann im 19. Jahrhundert zwei Massenklafter (ab 1811 galt: 1 Klafter = ca. 3,13 Raummeter) gemischtes Holz. Weil es einerseits immer mehr genussberechtigte Bürger gab, andererseits aber der Gabholzanfall im Wald sich kaum steigerte, bestand der Bürgernutzen im Jahre 1870 nur noch aus einem halben Klafter Scheitholz und 50 Wellen (25 Wellen = 1 Raummeter oder Ster). Außerdem beschloss man um 1880, die Zahl der Gabholzberechtigten von 145 auf 130 zu reduzieren, indem erst dann wieder ein Bürger in den Bürgergenuss kam, wenn 15 Gemeindebürger verstorben waren.
Dieses Recht auf den Genuss einer Holzgabe bestand noch vor wenigen
Jahren. Ein alteingesessener Bürger erhielt eine volle bzw. 'Große Gabe' von zwei Ster Holz. Sollte er versterben, so erhält dessen Witwe eine halbe bzw. 'Kleine Gabe' von einem Ster Holz. Verstirbt die Frau vor dem
Gabholzberechtigten, dann reduziert sich dessen Bürgergenuss als Witwer ebenfalls auf eine Kleine Gabe. Allerdings wurde kein Holz mehr an den Berechtigten bzw. die Berechtigte geliefert, vielmehr wurde diese Gabe in
Form eines finanziellen Zuschusses gewährt.
Foto: Fa. Kox, Archiv
Dieses alte Bürgerrecht der Holzgabe ist in Gaiberg seit einigen Jahren nicht mehr existent. Der Begriff des 'Bürgers' hat sich in seiner Bedeutung erheblich gewandelt. Das alte Ständewesen gibt es nicht mehr, und jeder Gaiberger Einwohner und jede Einwohnerin kann sich heute als Bürger bzw. Bürgerin von Gaiberg bezeichnen. Haushalte, die mit Holz heizen oder in der Küche den Kochherd damit befeuern, müssen das Holz aus dem Gaiberger Wald beim Forstamt erwerben und entsprechend bezahlen, oder kommerziell kaufen.. Aus Gründen des Umweltschutzes müssen beim Verbrennen die strengen Auflagen der Bundesimmissionsschutzverordnung eingehalten werden.
Tafel 4 - Ster, Klafter, Festmeter
Maße, Gewichte und Währungen waren in früheren Jahrhunderten in den deutschen Kleinstaaten sehr unterschiedlich geregelt und damit uneinheitlich. Viele Städte und Länder hatten eigene Maßeinheiten, die sich von denen anderer Städte und Gegenden unterschieden. Dies galt im ausgehenden Mittelalter besonders auch für die Längenmaße ‚Fuß (= Schuh)’ und ‚Klafter’.
Holz war im Mittelalter ein bedeutender Rohstoff. Es war die primäre Energiequelle und als Baumaterial unverzichtbar. Ein Baum lieferte Werkholz und Brennholz. Werkholz war bei den Kaufleuten begehrt. Um einen Kubikmeter Brennholz zu bekommen, ist ein Baum von 12 m Höhe und 40 cm Durchmesser nötig. Brennholz wurde in Bündel (Wellen) gepackt. Diese waren ca. 1,30 - 1,35 m hoch und hatten einen Umfang von 1 m, allerdings mit Zwischenräumen. Ein solches Bündel wog ca. 24 kg und man brauchte davon 100 Stück, um das Volumen von etwa vier Ster zu erreichen.
Am häufigsten wurde beim Holz das Klafter als Maßeinheit genutzt. Das Klafter ist definiert als das Maß zwischen den ausgestreckten Armen eines erwachsenen Mannes, traditionell 6 Fuß, also etwa 1,80 Meter. (Im von Napoleon gegründeten Großherzogtum Baden galt ein Fuß von genau 30 cm.) Vom Längenmaß leitete sich das alte Raummaß für Scheitholz ab. Unter einem Klafter Holz verstand man einen Holzstapel mit einer Länge und Höhe von je einem Klafter, die Tiefe dieses Stapels entsprach der Länge der Holzscheite. Diese betrug meist 3 Fuß, also 0,5 Klafter. Das Volumen eines Klafters Scheitholz betrug also rein rechnerisch nur 0,5 Kubikklafter. Man muss zwischen dem Klafter als Längenmaß und umgangssprachlich als Raummaß unterscheiden. Ein Klafter Holz waren also etwa 3 Raummeter (rm). In der vornapoleonischen Zeit war der Klafter Holz in der Pfalz und somit auch in unserer Gegend allerdings etwas größer und maß ca. 3,89 rm. Dies rührte daher, dass die Länge der Holzscheite anstatt 3 Fuß definitionsgemäß 4 Fuß betrug.
Der Klafter ist eine veraltete Maßbezeichnung. Heute ist die Bezeichnung Raummeter (rm) oder Ster für eine Holzmenge üblich. 1 Ster ist ein Stapel Holz von jeweils einem Meter Höhe, Breite und Tiefe, inklusive der Luftzwischenräume. Somit sind in einem Ster aufgrund der Zwischenräume nur 0,7 m³ Holz und 0,3 m³ Luft enthalten. Diese Rechnung hängt natürlich auch von der Größe der Holzscheite ab. Wenn Bäume gefällt werden,
rechnet der Forstmann allerdings eher in Festmetern. 1 Festmeter Holz entspricht also exakt einem Kubikmeter reines Holz – ohne Zwischenräume. 1 Festmeter sind umgerechnet ca. 1,4 rm oder Ster.
Tafel 5 - Waldweide und Streuwirtschaft
Der Heidelberger Wald und die Wälder rings um Heidelberg, so wie sie heute aussehen, sind seit Ende des 19. Jahrhunderts durch eine gezielte Forstwirtschaft entstanden. Man kann sich heute beim Anblick der dicht bewaldeten Hänge rings um den Königstuhl kaum mehr vorstellen, dass zu Beginn des 19. Jahrhunderts weite Teile dieser Flächen praktisch kahl waren. Wie auf alten Stichen z.B. von Merian zu erkennen ist, war beispielsweise der Gaisberg westlich des Heidelberger Schlosses 1620 weitgehend waldfrei. Die ursprünglich vorhandenen Wälder waren im Laufe der Jahrhunderte durch Waldweide und übermäßige Holznutzung (vielfach Diebstahl) so verlichtet und devastiert worden, dass man vielerorts überhaupt nicht mehr von "Wald" sprechen konnte.
Die Bewohner der Dörfer rings um den Königstuhl hatten verschiedene Nutzungsrechte am Wald, wie das Recht auf den "Eckerich". So durfte in Samenjahren (Mastjahren) jedes Dorf eine bestimmte Anzahl Schweine in den Wald zur Eichel- und Bucheckernmast treiben. Viele alte Weg- und Flurnamen zeugen noch von diesen früheren Nutzungformen im Wald. Der Weg entlang des Waldrandes zwischen Gaiberg und dem Gewann ‚Neubruch’ heißt Ochsenpferchweg, und der Bereich kurz nachdem der Weg in den Wald führt ist der ‚Ochsenpferch’. Ein Waldweg, der von Gaiberg in Richtung Dreieichen führt, heißt ‚Viehtriebhangweg’. Weitere Ortsbezeichnungen im Heidelberger Wald wie 'An der Suhl, Kuhriegelweg, Kühruhe, Ochsenweidweg, Ochsbrunnen' und viele andere deuten auf die wichtige Rolle der Waldweide in früheren Zeiten hin.
Erst 1790 wurde die Waldweide durch eine Agrarreform abgeschafft und die Stallhaltung eingeführt. Das Einstreuen der Ställe hatte jedoch eine weit verbreitete Streunutzung in den siedlungsnahen Wäldern zu Folge: das gefallene Laub der Bäume, die Streu, diente als Strohersatz in den Ställen (vgl. Begriffe wie Streuobstwiese, Waldstreu). Auf den entstehenden Rohböden konnten sich viele Baumarten nicht mehrverjüngen. Die Entnahme von Laubstreu aus dem Wald und der damit verbundene Nährstoffentzug verschlechterten die Bodenfruchtbarkeit nachhaltig. Die Folgen reichen bis in unsere heutige Zeit: Mangelsymptome und Wuchsstockungen an Kulturen haben ihre Ursachen häufig in der einstigen Streunutzung.
Die Waldweide spielt auch heute noch in den Bayrischen Alpen und im Bayrischen Wald eine gewisse Rolle.
Tafel 6 - Von Protzen, Zwieseln und Rotkern
Das Wachstum der Waldbäume verläuft nicht immer so, wie es der Förster gerne hätte. Wenn sich der Stamm gabelt, spricht man von einem Zwieselwuchs. Je nach Ausprägung unterscheidet man U- und V-Zwiesel. In der Regel wird die Zwieselbildung durch eine Beschädigung des Gehölzes in jungen Jahren verursacht, beispielsweise durch Wildverbiss. Die Bildung des U-Zwiesels ist unbedenklich. Bäume mit V-Zwieseln dagegen gelten als verstärkt bruchgefährdet. Bei V-Zwieseln drückt die einwachsende Rinde die beiden Stämme im Laufe der Jahre auseinander. Mit der Zeit kann es zusätzlich zu einer Wassertaschenbildung kommen. Das eindringende Wasser verursacht Fäulnis und führt bei Frost zum Auseinandersprengen des Stammes an der Gabelungsstelle. Führen die statischen Probleme durch das vom Dickenwachstum verursachte Auseinanderdrücken von Hauptstamm und Ast, bzw. zwei Hauptstämmen später zum Bruch eines V-förmig abstehenden großen Astes oder eines der beiden Stämme, dann ist die Wunde meist so groß, dass Baumpilze und andere Schädlinge eindringen können und der Baum abstirbt. Forstwirtschaftlich stellt die Zwieselbildung eine erhebliche Wertminderung dar; das Holz lässt sich nur schwer vermarkten.
Unter ‚Protz’ versteht man nicht nur einen starken, arrogant auftretenden Menschen, sondern in der Forstwirtschaft einen grobastigen Baum mit unerwünschtem starken Wachstum. Ein Protz überwächst andere Bäume und wird waldbaulich als Konkurrent für wertvollere Nachbarbäume angesehen. Da er meist nur Brennholz liefert, wird er bei Pflegemaßnahmen wie der Durchforstung in der Regel gefällt. Protze wachsen vornehmlich an Waldrändern oder Stellen mit gutem Lichteinfall.
Eine weitere unerwünschte Eigenart ist der ‚Rotkern’ bei Buchen. Diese braunrötliche Verfärbung des Kernholzes setzt etwa ab einem Alter zwischen 100 bis 120 Jahren ein und schreitet mit zunehmendem Alter fort. Je nach Ausprägung bedeutet dies für den Förster, der das Stammholz verkaufen will, eine deutliche Wertminderung, denn beispielsweise die Möbelindustrie verlangt nach einheitlich gefärbtem Holz ohne ‚Störungen’. Deshalb werden die Buchen in unseren Wäldern selten über 100 Jahre alt; sie werden vorher gefällt. – Durch die Ausbildung eines Rotkernes werden die Eigenschaften des Holzes jedoch in keiner Weise beeinträchtigt. Die Rotkernbildung im Buchenholz stellt also keinen Holzfehler dar. Vielmehr ist sie lebendiger Ausdruck für natürlich gewachsenes Holz mit ganz individuellen Wuchsmerkmalen. Kenner und Möbelliebhaber fragen deshalb explizit nach Rotkernmöbeln, weil diese ein höchst interessantes optisches Aussehen versprechen. Diese werden in Schreinereien hergestellt, die sich auf Rotkernmöbel spezialisiert haben.
Tafel 7 - Schläge und Hiebe
Was im täglichen Sprachgebrauch ziemlich gewalttätig klingt, sind in der Forstwirtschaft durchaus gebräuchliche und gängige Begriffe. Bäume werden gefällt oder geschlagen, und wenn ein Waldstück durchforstet wird, spricht der Förster von einem Pflegehieb. Aus forstwirtschaftlicher Sicht kann ein Wald nicht so wachsen, wie es natürlicherweise geschehen würde. Ausnahmen sind die wenigen Bannwälder, in denen der Mensch in der Regel nicht mehr eingreift. Sie stehen unter strengem Naturschutz. In den forstwirtschaftlich genutzten Wäldern, wie sie rings um Gaiberg vorhanden sind, wird nach einer gewissen Wachstumszeit das Holz 'geerntet'.
Bei einem 'Kahlschlag' oder 'Kahlhieb' werden alle Bäume auf einer Waldfläche entnommen, was man natürlich rationell mit Maschinen bewerkstelligen kann. Allerdings ist der Boden anschließend zunächst völlig schutzlos der Witterung ausgesetzt und es kommt zu Erosionen. Beispielsweise kann bei starken Regengüssen der Waldhumus zu einem großen Teil weggeschwemmt werden. Deshalb werden heute Kahlhiebe nicht mehr durchgeführt.
Für eine nachhaltige Waldnutzung werden im Gaiberger Wald so genannte 'Femelhiebe' vorgenommen. Hierbei werden einzelne Baumstämme oder kleinere Gruppen von Bäumen in unregelmäßiger Verteilung über die gesamte Fläche des Baumbestandes gefällt und dem Bestand 'entnommen'. Damit wird der fruchtbare Waldboden einerseits von Abschwemmungen geschützt. Andererseits ist eine maschinelle Holzernte erschwert. So dürfen die schweren Maschinen möglichst nur auf sogenannten 'Rückegassen' den Wald befahren, damit der Boden nicht großflächig massiv verdichtet wird. Die Wurzeln der Bäume werden dadurch weitgehend geschont. Die moderne Waldwirtschaft erfordert vom Revierförster oftmals eine langfristige Weitsicht. Er muss eine Vorstellung davon haben, wie der Wald zukünftig, teilweise erst in vielen Jahrzehnten, 'aufgebaut' sein soll.
Gewannbezeichnungen in alten Gaiberger Flurkarten erinnern an vergangene Zeiten: Hier findet man Namen wie 'Dickbuchenschlag', 'Kommissionsschlag' oder 'Neufeldschlag'. Das sind Flurbereiche bzw. Gewanne, die längst als Felder oder Obstbaumwiesen genutzt werden. Früher aber stand hier Wald. So war vor mehreren hundert Jahren fast der gesamte Bereich zwischen Gaiberg, Lingental und Gauangelloch dicht bewaldet. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde das Klima schlechter. Der Ausbruch des Vulkans Tambora in Indonesien sorgte auch in Mitteleuropa für eine länger anhaltende Kälteperiode. In einer Chronik des Gaiberger Bürgers Jakob Heinrich Zimmermann aus dem Jahre 1830 ist zu lesen:
„1816, das war ein kaltes nasses Jahr. Darum war 1817 eine Hungersnot. Da kostete der Pfund-Laib Brot 40 Kr., das Malter Korn, Gerste 38 und 40 fl., ….Damals steckten die Leute die Schalen und die Kartoffelaugen. Ich habe selbst die gesteckten Kartoffeln gehütet, denn es kamen Diebe in der Nacht und nahmen die Kartoffeln wieder aus den Stufen heraus. Arme Leute haben sie nicht geschält. Sie aßen sie mitsamt den Schalen. Sie aßen Säuohrenbüsch und Brennnessel als Kraut.“
(Anm.: Kr. = Kreutzer, fl. = Gulden, Säuohrenbüsch = Sauerampfer)
Die schlechten Lebensbedingungen und Hungersnöte zwangen viele Menschen, auch in Gaiberg, auszuwandern. Die meisten gingen nach Amerika. Um aber die Kosten der Überfahrt zu bezahlen, wurden große Waldflächen gerodet und ausgestockt (die Wurzelstöcke ausgegraben). Der Gewannname 'Neubruch' (beim 'Kraichgaublick') erinnert noch an diese harte Zeit.
Tafel 8 - Geheimnisvolle Zeichen
Fast überall im Wald sieht der Wanderer oder Spaziergänger seltsame Zeichen, mit denen manche Baumstämme markiert sind. Damit gibt der Förster den Waldarbeitern wichtige Hinweise und Anweisungen.
Ein Punkt bedeutet, dass dieser Baum ein so genannter Z-Baum oder 'Zukunftsbaum' ist. Er wird bei Hiebarbeiten nicht gefällt, sondern darf voll auswachsen. Z-Bäume bilden also quasi das Gerüst des Waldaufbaus und sollten nicht beschädigt werden. Ein schräger Strich zeigt an, dass dieser Baum bei den nächsten Durchforstungen gefällt wird. Bäume mit dieser Markierung stören den Waldaufbau, entweder weil sie zu dicht auf anderen Bäumen stehen und damit denen das Licht wegnehmen, - oder vielleicht auch, weil ihr Wuchs keine gute Holzernte verspricht. So genannte Protze werden z. B. möglichst frühzeitig entfernt. Ihr Holz eignet sich häufig nur als Brennholz.
Pfeile, manchmal auch waagrechte Striche, weisen auf eine so genannte Rückegasse hin. Oft steht über oder unter den Pfeilen noch der Buchstabe G (Gasse). Hier dürfen die Waldarbeiter mit schweren Maschinen den Wald befahren. So wird gewährleistet, dass nur an bestimmten Stellen der Waldboden verdichtet wird. Durch das Gewicht der schweren Maschinen werden nämlich die feinen Haarwurzeln der Bäume teilweise abgerissen und der Baum leidet. Außerdem kann in diesen Bereichen das Regenwasser nicht mehr gut in den Boden eindringen, was sich wiederum auf die angrenzenden Bäume negativ auswirkt. Allerdings bilden sich oftmals in den Rückegassen Furchen im
Boden, in denen sich das Regenwasser sammelt. Hier finden jetzt Amphibien wie Unken, Kröten oder Molche vorübergehend geeignete Lebensräume. Solche Pfützen sind im Frühjahr manchmal voller Amphibienlaich.
Früher setzten die Waldarbeiter Pferde ein, um die Baumstämme aus dem Wald zu ziehen. Diese Rückepferde waren massige und kräftige Kaltblut-Pferde, und es bedurfte schon einer umfangreichen Erfahrung, die Pferde so zu dirigieren, dass ein Baumstamm, den sie hinter sich her zogen, nicht ins Rutschen kam. An schwierigen Stellen, besonders in gebirgigen Regionen, wo der Einsatz von schweren Maschinen nicht möglich ist, werden auch heute noch gelegentlich Pferde zum Holzrücken eingesetzt. Für die Pferde ist die schwere Arbeit aber sehr belastend und teilweise gefährlich. Dicke und große Stämme können mit Pferden nicht gerückt werden.
Ein weiteres Zeichen, das man manchmal an Wegerändern sieht, ist der Buchstabe P. Dies bedeutet, dass an dieser Stelle so genanntes Polterholz gelagert werden muss, bis es von den Holztransportern abgeholt wird. Hier werden also die dicken Baumstämme vorübergehend abgelegt. Manchmal wird dieses Polterholz 'vergessen', weil vielleicht eine kostspielige Anfahrt mit dem Transporter wegen ein paar liegen gebliebener Stämme wirtschaftlich sich nicht mehr lohnt. Den Forstmann freut's. Daraus wird, wenn das Holz langsam durch Pilze zersetzt wird, Totholz und damit natürlicher Dünger für den Wald.
Tafel 9 - Totholz
Im Wald wird der Kreislauf des Lebens, das Werden und Vergehen, unmittelbar vor Augengeführt. In jedem Jahr lassen im Herbst die Laubbäume (und die Lärche als einziger Nadelbaum) ihre Blätter (Nadeln) fallen. Im nächsten Frühjahr wachsen neue Blätter, die Bäume schlagen wieder aus.
Irgendwann stirbt aber auch ein Baum, sei es durch Krankheiten, Sturmschäden, oder Schädlingsbefall, - wenn er nicht vorher gefällt wurde. Alte, kranke oder bereits abgestorbene Baumstämme bieten jedoch vielen Bewohnern des Waldes neuen Lebensraum. Spechte zimmern in ihnen ihre Höhlen, die auch von Fledermäusen, Tauben oder gelegentlich von Eulen bewohnt werden. Im abgestorbenen Holz siedeln sich viele Insekten an. Manche von ihnen sind explizit auf Totholz angewiesen um dort ihre Eier abzulegen. Die Larven der Insekten leben im Totholz und dienen beispielsweise den parasitär lebenden Schlupfwespen wiederum als Brut- und Nahrungsgrundlage. Pilze und Bakterien zerstören das Holz, das somit langsam zu Humus zerfällt.
Die Mineralstoffe des Totholzes sind ein wichtiger Dünger für den Wald, weswegen der Förster einen gewissen Anteil an Totholz im Wald schätzt. Förster lassen häufig ganze so genannte 'Totholz-Inseln' im Wald stehen. Sie fördern damit die natürlichen Kreisläufe und das komplexe Netzwerk der verschiedenen Lebensgemeinschaften im Wald auf nachhaltige Weise.
Mancher Mitbürger hat den Blick für das Natürliche verloren und ärgert sich, wenn der Wald nicht 'aufgeräumt' ist, weil am Boden liegende Äste und Zweige vermeintlich unordentlich aussehen. Doch ein natürlicher Wald ist nie aufgeräumt, ganz im Gegenteil. In einem naturbelassenen Wald gibt es viele abgestorbene Bäume und am Boden liegende Stämme, Äste und Zweige. Wenn ein Wald jedoch, wie es rund um Gaiberg der Fall ist, wirtschaftlich genutzt wird, geht ihm viel potentielles Totholz 'verloren'. Deswegen ist es für den verantwortlichen Förster wichtig, eine vernünftige Balance zwischen Ökonomie und Ökologie zu finden. Wer diese Zusammenhänge erkennt, wird mit Glück hat sogar sehen, wie direkt auf einem am Boden liegenden Baumstamm ein neuer Baumkeimling wächst.
Alle Texte: Dr. Martin Mühleisen